Bedürfnis und Nutzen

In den Wirtschaftswissenschaften wird unter einem Bedürfnis das Empfinden eines Mangels verstanden, der beseitigt werden soll. Daraus ergibt sich ein Bedarf, wenn sich das Bedürfnis auf ein Gut, mit dem es befriedigt werden soll, konkretisiert und eine entsprechende Kaufabsicht besteht. Kommt zur Kaufabsicht noch hinreichende Kaufkraft hinzu und wird auf dem Markt wirksam, handelt es sich um Nachfrage. Steht dieser Nachfrage ein entsprechendes Angebot gegenüber, kann das Gut erworben werden. Letztlich verspricht sich der Erwerber eines Guts einen Nutzen davon, also eine möglichst gute Befriedigung seiner Bedürfnisse.

Dazu ein Beispiel: Hunger ist ein Mangel. Fastet eine Person, hegt sie nicht den Wunsch, diesen Mangel zu beseitigen und es entsteht daraus kein Bedürfnis. Will sie den Mangel hingegen beheben, ergibt sich das Bedürfnis nach Nahrung. Das auf ein bestimmtes Produkt konkretisierte Bedürfnis wäre dann der Bedarf, etwa nach Spaghetti. Hat die Person hinreichend Geld und geht in ein Lebensmittelgeschäft, um dort die Spaghetti zu kaufen, entsteht Nachfrage nach dem Produkt. Werden die Spaghetti gegessen stiften sie Nutzen in Form von Genuss, Sättigung und Nährstoffversorgung des Körpers. Relativierend sei noch angemerkt, dass die Begriffe Mangel, Bedürfnis, Bedarf und Nachfrage häufig synonym verwendet werden.

Um die Vielzahl möglicher Bedürfnisse zu strukturieren und gedankliche Klarheit zu gewinnen, bietet sich deren Klassifikation an. Die Bedürfnispyramide von Maslow ist das bekannteste Modell zur Klassifikation von Bedürfnissen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Bedürfnisse einer ‚tieferen‘ Stufe erst weitgehend befriedigt sein müssen, bevor die Befriedigung der ‚höheren‘ Bedürfnisse angestrebt wird.

Hier sind einige Beispiele von Gütern im weitesten Sinne zur Befriedigung von Bedürfnissen der einzelnen Stufen:

  • - Körperliche Grundbedürfnisse (auch Existenzbedürfnisse): Essen, Getränke, Schlaf.
  • - Sicherheit: Haus, fester Arbeitsplatz, Versicherungen, persönliche Zukunftsaussichten, Religion, persönlicher Waffenbesitz.
  • - Soziale Beziehungen: Kommunikation, Partnerschaft, Freundeskreis.
  • - Soziale Anerkennung: Karriere, Status, Macht, Selbstachtung.
  • - Selbstverwirklichung: Altruismus, Individualität, Gerechtigkeit, Güte, Talententfaltung.
Außerdem lassen sich Bedürfnisse nach Dringlichkeit klassifizieren. Die zugehörige Unterscheidung in Existenzbedürfnisse 

und Kultur- beziehungsweise Luxusbedürfnissen ist nicht trennscharf, gibt aber doch eine gute Orientierung.

Eine weitere Einteilung kann nach individuell und kollektiv hervorgerufenen Bedürfnissen vorgenommen werden. Kollektivbedürfnisse entstehen aus dem Gesellschaftsleben und bezeichnen den Wunsch nach Bildung, Sicherheit, sauberer Umwelt. Individualbedürfnisse betreffen die Wünsche und Bedürfnisse eines einzelnen Menschen.

Differenziert man nach dem gewünschten Gegenstand zur Bedürfnisbefriedigung, so ist eine Einteilung nach materiell und immateriell sinnvoll. Während Erstere eng mit den Konsum-wünschen des Menschen einhergehen (zum Beispiel Besitz eines Smartphones), bezeichnen immaterielle Bedürfnisse wie zum Beispiel ‚Leben in einer intakten Umwelt‘ oder der ‚Wunsch nach gesunder Lebensweise‘ Eigenschaften des menschlichen Lebens, die kaum in Preisen auszudrücken sind.

Je nachdem, ob jemand sich seiner Bedürfnisse bewusst ist oder nicht, handelt es sich um offene oder latent vorhandene Bedürfnisse.

Normalerweise werden in der Volkswirtschaftslehre Bedürfnisse als grundsätzlich unbegrenzt angenommen (Unersättlichkeitsaxiom), was sich mit den meisten Erfahrungen in unserem Kulturkreis deckt. So erhöhen neue Güter oder höhere Einkommen zunächst das Zufriedenheits- beziehungsweise Glücksempfinden, was in der Regel jedoch nach kurzer Zeit unter anderem aufgrund von Gewöhnungseffekten und neuen (sozialen) Referenzpunkten nachlässt und zu neuen Wünschen führt. So freuen sich Menschen normalerweise über den Kauf eines neuen, größeren, schöneren Autos oder Hauses. Doch nach einiger Zeit entsteht oft der Wunsch nach einer noch besseren Variante. Insofern haben die meisten Menschen, fast unabhängig von ihrem Vermögen, unbefriedigte Bedürfnisse und ein Knappheitsempfinden. Dies erklärt auch das Phänomen, dass sich nur sehr wenige Menschen als ‚reich‘ sehen, da auch Multimillionäre offene Wünsche haben (neues Flugzeug, größere Yacht …).

Üblicherweise wird zur Entschärfung dieses Knappheitsproblems Wirtschaftswachstum und effizientes Handeln gemäß dem ökonomischen Prinzip vorgeschlagen. So naheliegend dies auch ist, sollte mit Blick auf andere Kulturkreise und die Geschichte des ökonomischen Denkens ein alternativer Ansatz, der bei der Begrenzung der Bedürfnisse ansetzt, nicht völlig ignoriert werden. So empfehlen nicht nur Buddhisten Bedürfnislosigkeit und Genügsamkeit, sondern auch Scholastiker wie Thomas von Aquin und griechische Philosophen wie Aristoteles, der von ‚standesgemäßen Bedürfnissen‘ spricht. Einen ähnlichen Ansatz zum Umgang mit Knappheit stellt die Suffizienzstrategie dar, bei der die eigenen Bedürfnisse bewusst beschränkt werden, was meist ökologischen Motiven und dem Wunsch nach Nachhaltigkeit entspringt.

Das Denkschema des Bedürfnisses ist im Rahmen der ökonomischen Bildung bedeutsam, weil Bedürfnisse …

  • beziehungsweise der Wunsch nach ihrer Befriedigung der Ausgangspunkt menschlichen Handelns darstellen;
  • in Kombination mit nur beschränkt vorhandenen Gütern zu einem Knappheitsproblem führen, aus dem sich das ökonomische Prinzip und die Notwendigkeit des Wirtschaftens ergeben;
  • zur Nachfrage führen und damit ein zentrales Element von Marktprozessen sind;
  • in engem Zusammenhang zu Präferenzen und zur Nutzenmaximierung stehen, die wiederum ein wichtiger Bestandteil des ökonomischen Verhaltensmodells und somit vieler volkswirtschaftlicher Ansätze und ökonomischer Konzepte (insbesondere der institutionenökonomischen Bildung) sind;
  • die Grundlage für individuelle Entscheidungen (zum Beispiel für Konsumprodukte oder einen Beruf) darstellen.

Die Kategorie des Bedürfnisses steht in engem Zusammenhang zu anderen Denkschemata wie: Güter, Knappheit, ökonomisches Prinzip, Wachstum.

Aufgrund ihrer basalen Bedeutung für das Wirtschaften sind Bedürfnisse fast allen wirtschaftlichen Fragestellungen immanent. Eine hervorgehobene Bedeutung haben sie hingegen bei unterrichtsrelevanten Themen wie …

  • Werbung, deren Aufgabe insbesondere darin besteht, Bedürfnisse bei Verbrauchern zu wecken beziehungsweise gezielt zu beeinflussen. Mündige Verbraucher sollten dafür sensibilisiert sein und geeignete Strategien zur Interpretation von Werbe- und Marketingmaßnahmen verinnerlichen;
  • sich der eigenen Bedürfnisse bewusst werden, diese hinterfragen und sie priorisieren;
  • Umgang mit knappen Mitteln (zum Beispiel Taschengeld), Führen eines Haushaltsbuchs, Überschuldungsprävention;
  • Berufsorientierung, insbesondere im Rahmen des bedürfnisorientierten Ansatzes der Berufswahl, bei dem die individuellen Bedürfnisse einen zentralen Aspekt der Berufswahl ausmachen.